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Bei Mordverdacht macht „Bild“ einen Deutschen wieder zum Flüchtling

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Wann ist man eigentlich Deutscher? Also so richtig deutsch, akzeptiert sogar von der „Bild“-Redaktion? Braucht man dafür einen deutschen Namen, deutsche Vorfahren, ein irgendwie geartetes deutsches Aussehen? Muss man in Deutschland geboren sein? Oder reicht die deutsche Staatsbürgerschaft?

In Leipzig soll ein Mann seine Ex-Freundin getötet haben. Der 30-Jährige ist Deutscher mit deutschem Pass und lebt seit knapp 25 Jahren in Deutschland. Als 6-Jähriger flüchteten er und seine Familie aus Afghanistan, was bei dieser Geschichte eigentlich keine Rolle spielen sollte. „Bild“ und Bild.de sehen das offenbar anders. Denn wenn man möglicherweise zum Straftäter geworden ist, dann kann man noch so lange schon in Deutschland leben und einen noch so deutschen Pass haben. Dann ist man direkt: einstiger „Vorzeigeflüchtling“, wie die „Bild“-Redaktion in einem Facebook-Teaser schreibt.

Mehrere Tage berichteten die „Bild“-Medien in der vergangenen Woche über den Fall. In ihrer Leipzig-Ausgabe titelte die „Bild“-Zeitung am Mittwoch:

Ausriss Bild-Zeitung - Myriams Killer war mal ein Musterbeispiel gelungener Integration

Man kann nur mutmaßen, was der Leserschaft eine solche Überschrift sagen soll — hängen bleibt aber irgendein Zusammenhang zwischen Migration und Gewaltverbrechen. Und dann noch nicht mal von irgendeinem sowieso schon kriminellen Dahergelaufenen verübt, sondern von einem „Musterbeispiel gelungener Integration“. Wenn jetzt die sogar schon …

Die Onlineversion des Artikels wurde über 4000 Mal bei Facebook geteilt, von AfD-Politikern und -Ortsverbänden, von der NPD, von „Pegida“, von Facebookgruppen mit Namen wie „Büdingen wehrt sich — Asylflut stoppen“, „Klartext für Deutschland — FREI statt bunt“ und „Aufbruch deutscher Patrioten“. Sie alle stürzen sich auf die Bezeichnungen „Vorzeigeflüchtling“ und „Musterbeispiel gelungener Integration“. Die „Bild“-Redaktion weiß sehr genau, für wen sie schreibt.

Den viel passenderen größeren Zusammenhang lässt sie hingegen außen vor: Gewalt gegen Frauen. Der Tod der Frau in Leipzig reiht sich ein in die zahlreichen Frauenmorde, die hierzulande und überall auf der Welt eine traurige Alltäglichkeit haben. Wegen Fällen wie diesem gab es in letzter Zeit Debatten zu verharmlosenden Bezeichnungen in Medien wie „Beziehungsdrama“: Gewalttaten in Beziehungen sollen nicht mehr als einzelne „Tragödien“ beschrieben werden, sondern als strukturelles Problem. Die dpa kündigte beispielsweise an, künftig auf Begriffe wie „Familientragödie“ verzichten zu wollen.

Anders Bild.de. Als die genauen Hintergründe der Tat in Leipzig noch nicht bekannt waren, titelte die Redaktion:

War der Mordversuch eine Beziehungstat?

Kolumnistin Katja Thorwarth schrieb vergangenes Jahr in der „Frankfurter Rundschau“ darüber, „warum Mord keine ‚Beziehungstat‘ ist“. Solche Überlegungen scheinen an „Bild“ spurlos vorbeizugehen.

Das gilt auch für Überlegungen zu Persönlichkeitsrechten: Regelmäßig veröffentlichen die „Bild“-Medien unverpixelte Fotos von Tatopfern und von bisher nicht verurteilten Tatverdächtigen. Die Unschuldsvermutung ist der Redaktion eher lästig. Und so lässt „Bild“ auch diese Gelegenheit nicht aus und zeigt sowohl ein Foto der Getöteten als auch eines des mutmaßlichen Täters ohne jegliche Unkenntlichmachung.

Das Foto der Getöteten hat „Bild“ vom Facebook-Account der Frau:

Screenshot Bild.de - Foto: Facebook

Dabei hatte der Deutsche Presserat schon vergangenen Dezember festgestellt:

Facebookeintrag kein Freibrief für Verwendung von Opferfotos

Konkret ging es damals um einen Fall, bei dem Bild.de ein Foto einer getöteten Frau von Facebook gezogen und veröffentlicht hatte — für den Presserat ein Verstoß gegen den Opferschutz. Der Ehemann des Opfers sei in den Sozialen Netzwerken zwar offen mit dem Tod seiner Frau umgegangen, so das Gremium, trotzdem hätte die „Bild“-Redaktion eine Erlaubnis zur Veröffentlichung der Bilder einholen müssen:

Die Veröffentlichung von Fotos und Angaben zu Opfern durch die Angehörigen in sozialen Netzwerken ist nicht gleichzusetzen mit einer Zustimmung zu einer identifizierenden Darstellung in den Medien.

Gab es für die „Bild“-Berichterstattung aus Leipzig so eine Zustimmung? „Bild“-Sprecher Christian Senft wollte sich dazu nicht äußern: Man kommentiere, „wie üblich“, keine redaktionellen Entscheidungen. Nach unserer Anfrage hat die Redaktion die Fotos des Opfers bei Bild.de verpixelt.

Mit Dank an Maria T. und anonym für die Hinweise!

Nachtrag, 23:24 Uhr: Mit dem Herauskramen der Bezeichnung „Vorzeigeflüchtling“ ist die „Bild“-Redaktion nicht allein. Auch Sächsische.de bezeichnet den Tatverdächtigen in einem später erschienenen Artikel so.

Mit Dank an @doestrei für den Hinweis!

Nachtrag, 21. April: Auch die „Leipziger Volkszeitung“ berichtet von dem Fall und schreibt über den Tatverdächtigen, er sei ein „Musterbeispiel gelungener Integration“ gewesen.

„Tag24“ bekommt es hin, den Mord an der Frau sprachlich auf ganz besondere Weise zu verharmlosen: Die Redaktion schreibt vom „dramatischen Höhepunkt einer toxischen Liebe im Sozialarbeiter-Milieu“.

Mit Dank an @RASSISMUSTOETET für den Hinweis!


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